Heilung dank SCID Neugeborenen-Screening

Nach einer Bilderbuchschwangerschaft erblickte der kleine Silvan das Licht der Erde. Alles schien normal zu sein und so wurden Mutter und Kind nach ein paar Tagen aus einem Karlsruher Krankenhaus entlassen. Zwei Tage später, es war ausgerechnet Freitagmittag, kam ein Anruf, der alles auf den Kopf stellte: das Neugeborenen-Screening, bei dem alle Kinder am dritten Lebenstag auf bestimmte angeborene Erkrankungen getestet werden, ergab einen auffälligen Wert. Die Familie sollte sich so schnell wie möglich am Centrum für Chronische Immundefizienz (CCI) des Universitätsklinikums Freiburg melden. „Bei Silvan bestand der Verdacht auf einen schweren kombinierten Immundefekt (SCID). Das ist ein angeborener Mangel an wichtigen Immunzellen, den T-Zellen. Die Krankheit führt unbehandelt zu schweren Infektionen und oft zum Tod im ersten Lebensjahr. Die einzige Chance besteht in einer Stammzelltransplantation von einem passenden Spender möglichst vor der ersten Infektion“, sagt Prof. Dr. Stephan Ehl, Medizinischer Direktor des CCI. Er erläuterte der Familie Vorsichtsmaßnahmen zum Schutz von Silvan. Nach einem schlimmen Wochenende des Bangens bestätigte ein Kontrolltest den Verdacht auf SCID.

„Es ist eine völlig neue Herangehensweise, wenn man Eltern offensichtlich gesunder Kinder so eine schwerwiegende Diagnose mitteilen muss“, sagt Privatdozent Dr. Carsten Speckmann vom CCI, der maßgeblich an der Einführung des SCID Neugeborenen-Screenings in Deutschland im Jahr 2019 beteiligt war. „Zwischendurch mussten wir uns zwingen, es zu glauben, es war ja nichts ersichtlich“, sagt die Mutter.

Für die Familie änderte sich schlagartig alles. Silvan bekam prophylaktisch Medikamente. Um ihn vor Infektionen zu schützen, mussten alle in Isolation. Seit Corona hat jeder eine Vorstellung davon, doch die Familie musste selbst bei Spaziergängen an der frischen Luft aufpassen, denn überall lauerten Gefahren von Bakterien, Viren und Pilzen wie z.B. im Wald, auf Feldern und bei Baustellen. Die große Schwester durfte nicht mehr in den Kindergarten. Den Einkauf erledigten Verwandte, Nachbarn und Freunde.

Parallel dazu lief die Suche nach einem Spender für die Stammzelltransplantation. In der eigenen Familie kam niemand in Frage, so dass sie auf die internationale Spenderdatei angewiesen waren. Sie lebten in ständiger Angst niemanden zu finden. Zwei Monate später konnte jedoch ein vollständig passender Spender gefunden werden. Bis zum Tag der Transplantation musste Silvan unbedingt gesund bleiben, denn je gesünder ein Kind ist, desto besser sind die Chancen. Doch dann kam die nächste Hürde: bei Voruntersuchungen wurde zufällig ein Leistenbruch festgestellt, der operiert werden musste. Um Silvan bestmöglich zu schützen, wurde er in einem Transportinkubator von der Kinderklinik in den OP der Frauenklinik transportiert. „Für mich war es am Schlimmsten, als der Anästhesist Silvan einfach wegtrug, nachdem wir die ganze Zeit nur damit beschäftigt waren, ihn zu beschützen“, erinnert sich die Mutter.

Vier Monate nach Geburt zog die ganze Familie ins Elternhaus des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin ein. Der Vater konnte dort im Home-Office arbeiten. Das eigene Knochenmark von Silvan wurde mit einer sechstägigen Chemotherapie heruntergefahren, um Platz für die neuen Stammzellen zu machen. Dann war der große Tag gekommen. Die Familie wurde noch einmal auf eine Geduldsprobe gestellt, denn die frischen Stammzellen kamen mit Kurier und es gab eine Verzögerung bei der Deutschen Bahn. Schlussendlich konnten sie kurz nach Mitternacht als Transfusion verabreicht werden.

Endlich konnte die Familie aufatmen, alles lief gut. Vier Wochen später durften sie langsam aus ihrer Isolierung raus. Nach acht Wochen fieberten sie ihrer geplanten Entlassung entgegen. Doch dann gab es noch einmal einen Rückschlag: einen Tag vorher ging es Silvan auf einmal schlecht, er hatte sich einen Norovirus eingefangen. Nach jeder Mahlzeit musste er erbrechen, hatte Durchfall und verlor Gewicht. Sein Immunsystem war noch sehr schwach und hatte extrem damit zu kämpfen. Die Familie musste im Elternhaus bleiben, die Monate zogen ins Land, ein Ende war nicht in Sicht. Während dieser Zeit hatte die Familie auch noch einen Umzug gemanagt. Das war gar nicht so einfach, denn im Küchenstudio konnten sie nur in Schichten die neue Küche planen, da immer einer in der Uniklinik bleiben musste. Erst ein halbes Jahr später als geplant, kurz vor dem ersten Geburtstag, durften sie nach Hause. Acht Monate hatte Silvan stationär verbracht, alleine sechs davon wegen dem Norovirus, der bei Entlassung immer noch nachweisbar war.

Seit einem halben Jahr ist die Familie nun im neuen zu Hause. Silvan ist geheilt. Er hat jetzt zwei Geburtstage: seinen eigentlichen und den der Transplantation, wodurch ihm noch einmal das Leben geschenkt wurde. „Wir sind unendlich dankbar, dafür, dass zwei Jahre vor Silvans Geburt die SCID-Krankheit auf die Liste des Neugeborenen-Screenings aufgenommen wurde, dass wir am CCI sofort in den richtigen Händen waren, und dass wir einen passenden Spender gefunden haben. Sonst wäre Silvan vermutlich nicht mehr am Leben“, sagt die Mutter. „In den letzten vier Jahren nach Einführung des SCID Neugeborenen-Screenings konnten wir zehn Kinder mit schwerem angeborenem T-Zell-Mangel am CCI diagnostizieren und am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin behandeln. Deutschlandweit sind es sogar 120 Kinder“, so Speckmann. SCID ist eine Erbkrankheit und inzwischen ist klar, dass bei Silvan die Mutter Trägerin der Erkrankung ist. Sollte Silvan einmal Kinder kriegen, werden seine Söhne gesund und seine Töchter wiederum Trägerinnen sein. „Aber jetzt freuen wir uns erst einmal über ganz normale Dinge: im Sommer darf Silvan zum ersten Mal im Sand oder auf einer Wiese spielen“, sagt die Mutter.